Tuesday, 24 October 2017

Einfach, emotional, dramatisch - Warum Rechtspopulisten so viel Anklang in den Massenmedien finden - Paula Diehl

Verfolgt man die aktuellen politischen Debat- ten in den deutschen Massenmedien, fällt auf, dass sich die Diskussion häufig um Rechtspo- pulisten oder um ihre Sprüche dreht. In den USA sieht es nicht anders aus, Donald Trump scheint die gesamte Aufmerksamkeit der Mas-

senmedien zu absorbieren, wenn er rassistische, xenophobe oder sexistische Sprüche von sich gibt. Wie erklärt es sich, dass der Rechtspopulismus so viel Aufmerksamkeit in den Massenmedien bekommt, und welche Konsequenzen hat das für die Demokratie? Die Gründe für den Erfolg des Rechtspopulismus sind vielfältig. Dazu gehören Politikverdrossenheit, soziale Ungleichheiten und postdemokratische Verhältnisse, wie sie von Colin Crouch1 beschrieben wurden. Doch ein wichtiger und weniger beachteter Faktor liegt in seiner Medienkompatibilität.

In der Tat enthält der Populismus viele Komponenten, die die Auf- merksamkeitskriterien der Massenmedien erfüllen: Populisten sind schrille Gestalten, sie brechen gerne mit Tabus und produzieren Skandale, wecken Emotionen und dramatisieren Zusammenhänge, die sie zugleich in eine manichäische Struktur bringen. Der Populismus konstruiert ein konflikt- trächtiges Narrativ, in dem das Volk von den Eliten – dazu gehören ökonomische Eliten, die Presse sowie etablierte Politikerinnen und Politiker – betro- gen wurde. Wie in einem Märchen wird das Volk durch den charismatischen Leader geweckt und kann sich von den „Mächtigen“ befreien.2 Angesichts dieser Dramatisierung scheinen komplexe Argumentationen oder die Berück- sichtigung mehrerer Standpunkte überflüssig. Populisten glauben, den Willen des Volkes zu kennen, und dieser Wille ist für sie immer homogen und eindeutig. Meinungspluralismus bedeutet für sie Zerstreuung des Volkswillens, während eine interpretative Auseinandersetzung mit politischen Problemen zur Verzerrung der Wahrheit führe. Stattdessen stehen die Unmittelbar- keit und der enge Kontakt zwischen Volk und charismatischem Führer im Vordergrund. Der populistische Führer dient hier als Personalisierung des Volkswillens und kommuniziert ihn direkt. Denn, so die populistische Logik3, gerade weil der Populist, anders als Politiker der etablierten Parteien, einer aus dem Volke ist, kann er wissen, was das Volk eigentlich will. Populismus lehnt jegliche Art der Mediation ab, sei es durch etablierte Parteien, Politiker oder Journalisten. Sie erscheinen in diesem Lichte als überflüssige und gefährliche Verzerrer des Volkswillens und sind dem Vorwurf der Verfälschung und des Verrats ausgesetzt. Weil die Kommunikation ohne Mediation erfol- gen soll, verpflichtet die populistische Logik zur Vereinfachung und Komplexitätsreduktion und appelliert an den Common Sense. Dieser muss nicht erklärt werden, sondern ist jedem „ersichtlich“ und fühlbar. Populisti- sche Akteure geben vor, die Stimme des Volkes wiederzugeben, und können dadurch mit Tabus brechen, ohne dafür haftbar gemacht zu werden. Denn vox populi, vox Dei.4

MEHR PARTIZIPATION, WENIGER VIELFALT
Das Verhältnis des Populismus zur Demokratie ist ambivalent. Positiv ist zu unterstreichen, dass der Populismus die Bürgerinnen und Bürger zu mehr Partizipation und Kontrolle der politischen Repräsentanten animiert, wenn an die Volkssouveränität appelliert wird. Der Populismus macht die Schwach- stellen der Demokratie sichtbar, indem er auf die fehlende Umsetzung des Volkssouveränitätsprinzips in der Praxis aufmerksam macht. Rhetorisch drückt sich dieser Anspruch zum einen durch die Kritik an Machtmissbrauch und Korruption und zum anderen durch die Forderung nach politischer Ver- änderung aus.5 Indem Populismus auf konkrete Defizite der Demokratie ver- weist, kann er zu deren Korrektur beitragen. Zur negativen Seite gehört, dass durch Komplexitätsreduktion, manichäische Struktur und Ausblendung des Pluralismus die politische Debatte verzerrt wird. Die populistische Logik hält sich zwar an den demokratischen diskursiven Rahmen. Sie geht von der Mei- nungsfreiheit, von der Gleichheit zwischen den Individuen und von der Macht des Volkes aus. Aber sie verzerrt diesen Rahmen, denn sie arbeitet mit Kurzschlüssen. Die große Gefahr des Populismus liegt in der Verschiebung des politischen Diskurses. Die populistische Kommunikation wird so verein- facht, dass wichtige Komplexitäten ausgeblendet werden und die Welt in ma- nichäischer Gestalt auftritt: Es gibt nur Gut oder Böse, Entweder, Oder. Für die demokratische Debatte bedeutet dies vor allem einen Verlust an Pluralität der Meinungen und das Verschwinden von Kompromissen.

AUFMERKSAMKEITSREGELN DER MASSENMEDIEN

Vergleicht man die Komponente des Populismus mit den Aufmerksamkeits- regeln der Massenmedien, wird die Kompatibilität zwischen beiden deutlich. Massenmedien bilden ein Forum für den ö entlichen Diskurs. Doch ihre Rolle ist keineswegs unschuldig, denn sie entscheiden schließlich darüber, was gesendet wird und was nicht. Ferner geben sie auch den verö entlichten Bildern und Botschaften eine ästhetische Form und bestimmen die Art und Weise, wie Politik diskutiert und präsentiert wird. Kommunikationswissen- schaftler haben die Selektionskriterien der Massenmedien untersucht. Dazu zählen „Personifikation, mythisierender Heldenkonflikt, Drama, archetypi- sche Erzählung, Wortgefecht, Sozialrollendrama, symbolische Handlung, Unterhaltungsartistik, sozialintegratives Nachrichtenritual“.6 Privilegiert werden Inszenierungen und Kommunikationsstile, die Personalisierung, Komplexitätsreduktion, Appell zum Außergewöhnlichen, Emotionalisierung, Dramatisierung und eine Konfliktstruktur aufweisen.


Stellt man diese Kriterien neben die Elemente des Populismus, sind die Ergebnisse verblüffend:7

Kriterien der MassenmedienElemente des Populismus
PersonalisierungZentralität des charismatischen Leaders
KomplexitätsreduktionVereinfachung der Argumentation
Appell zum AußergewöhnlichenProduktion von Skandal und Tabubrüche
EmotionalisierungEmotionalisierung
Dramatisierung | Narrativ des betrogenen Volkes
Konfliktstruktur | Manichäisches Denken
Unmittelbarkeit | Ablehnung von Mediation

Es wird klar, dass es sich um eine systemische Übereinstimmung zwischen massenmedialen Aufmerksamkeitsregeln und populistischer Logik handelt. Politische Akteure, die sich des Populismus bedienen, haben daher höhere Chancen, Medienaufmerksamkeit zu erzeugen. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die Massenmedien solchen Akteuren, und dazu ge- hören Rechtspopulisten, besondere Aufmerksamkeit schenken.

SPIELARTEN DES POPULISMUS UND RECHTSEXTREMISTISCHE GEFAHR
Rechtspopulismus ist nicht gleich Populismus, sondern eine besondere Popu- lismus-Variante. In der Tat gibt es unterschiedliche Formen des Populismus, die je nach ideologischer Richtung als Agrarpopulismus, Linkspopulismus, Rechtspopulismus oder Mainstream-Populismus bezeichnet werden. Im Rechtspopulismus ist die populistische Logik mit rechtsextremistischen Ideo- logemen kombiniert. Als Ideologeme bezeichnet man Versatzteile von Ideolo- gien; sie sind Vorstellungen und Gedanken, die keine umfassenden Erklä- rungsmuster bieten, aber punktuelle Einstellungsmuster zu bestimmten Themen wiedergeben. Die Vorstellung, dass Ausländer nicht zur Gesellschaft gehören, dass sie ihr fremd sind, ist ein solches rechtsextremistisches Ideologem.

Die Kombination von Populismus und Rechtsextremismus ist mög- lich, weil der Populismus ideologisch unterbestimmt ist, nicht umsonst wird er auch als „dünne Ideologie“8 definiert. Der Populismus preist zwar das Volk als moralische Instanz an und stellt es ins Zentrum seines Narrativs, doch wer zum Volke gehört, bleibt zunächst o en. Erst in der Kombination mit ande- ren, „konsistenteren“ Ideologien kann der Populismus das Volk definieren. Im Linkspopulismus wird das Volk aus der Arbeiterklasse, ausgebeuteten und diskriminierten Gruppen gebildet, für den neo-liberalen Populismus ist das Volk die Summe der Unternehmer und Einzelkämpfer, die sich dem Aufstieg in der kapitalistischen Gesellschaft verpflichtet fühlen.

Der Rechtspopulismus wiederum definiert das Volk durch die Zugehörigkeit zu einer ethnischen oder sogar „rassischen“ Gruppe und rekurriert auf rechtsextremistische Ideologeme. Typisch für den Rechtsextremismus sind „übersteigerter Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, ein autoritär-konservatives, hierarchisches Familien- und Gesellschaftsbild und die Ablehnung der Demokratie“.9 Dazu gehören auch die Vorstellung ei- ner ethnisch homogenen Gesellschaft, die Überzeugung, dass ihre Mitglieder einen höheren Wert als Nicht-Zugehörige haben, und somit auch die Negierung der demokratischen Gleichheit und die Ablehnung des Wertepluralismus. Das Volk wird als eine Art Körper gedacht, der durch Fremde „infiziert“ und „verdorben“ werden kann. Daher gehört die Angst vor Ausländern zu den Topoi rechtsextremistischer Ideologien.

Rechtspopulismus ist eine regelrechte Kombination aus populistischer Logik und rechtsextremistischen Ideologemen. Er schreibt die diskriminierende Auffassung des Volkes in das Narrativ des betrogenen Volkes ein. Die Elite und die Mediatoren sind zwar weiterhin Verräter, doch sie werden so porträtiert, dass sie entweder aus eigenem Interesse oder aus Missachtung des Volkes eine Allianz mit Ausländern, Muslimen, Juden oder „Fremden“ eingehen beziehungsweise die Feinde des Volkes tolerieren und sogar privilegieren. Dieses Argumentationsmuster wird in der deutschen Migrationsdebatte deutlich.


AUSWIRKUNG AUF DIE DEMOKRATIE 

Im Rechtspopulismus dient der Populismus als Brücke zwischen der demo- kratisch konstituierten Ö entlichkeit und rechtsextremistischen Positionen. Standen rechtsextremistische Ideologeme außerhalb der demokratisch kon- stituierten Ö entlichkeit, werden sie mithilfe der populistischen Logik dort- hin transportiert. Rechtspopulismus dient somit als Eintrittstor für rechts- extreme Ideologien in die demokratische Ö entlichkeit. Denn die systemische Begünstigung des Populismus in den Massenmedien führt dazu, dass rechts- extremistische Ideologeme immer öfter transportiert werden.

Die Auswirkungen dieses Prozesses auf die Demokratie können ver- heerend sei. Durch die Privilegierung rechtspopulistischer Akteure aufgrund ihrer A nität zu den Aufmerksamkeitsregeln der Massenmedien kommt es zur Wiederholung ihrer Botschaften. So entsteht ein Gewöhnungse ekt an antidemokratische Botschaften, rechtsextremistisches Gedankengut kann in der Folge salonfähig werden.

Besonders problematisch ist es, wenn Politikerinnen und Politiker eta- blierter Parteien nicht nur auf die populistische Logik, sondern auch auf rechtspopulistische Ideologeme zugreifen, um den Wettbewerb gegen die Rechtspopulisten zu gewinnen. Dann kann eine Situation entstehen, in der der demokratische diskursive Rahmen so verschoben wird, dass er demokrati- schen Maßstäben nicht mehr entspricht. Damit es dazu nicht kommt, müssen sowohl politische als auch Medienakteure selbstkritisch mit ihrer eigenen Rolle umgehe, um nicht zum Teil der rechtspopulistischen Strategie zu werden.
  1. 1  Colin Crouch: Postdemokratie, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008.
  2. 2  ZumNarrativdesbetrogenenVolkessiehePaulaDiehl:„DieKomplexitätdesPopulismus. Ein Plädoyer für ein mehrdimensionales und graduelles Konzept“; in: Populismus: Konzepte und Theorien, Totalitarismus und Demokratie, Heft 2, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011, S. 273–291.
  3. 3  ZurDefinitiondesPopulismusalsLogiksieheErnestoLaclau:OnPopulistReason,Verso,New York 2005; Jan-Werner Müller: Was ist Populismus?, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2016.
  4. 4  ZueinerzusammenfassendenAuseinandersetzungmitderLogikdesPopulismussiehe Paula Diehl: „Die Komplexität des Populismus“, in: Totalitarismus und Demokratie, Heft 2, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011, S. 273–291.
  5. 5  YvesMény/YvesSurel:Parlepeuple,pourlepeuple.Lepopulismeetlesdémocraties,Fayard, Paris 2000.
  6. 6  ThomasMeyer:„PopulismusundMedien“,in:FrankDecker(Hrsg.):Populismus.Gefahrfürdie Demokratie oder nützliches Korrektiv?, Springer VS, Wiesbaden 2006, S. 81–96, hier S. 83.
  7. 7  Zur A inität des Populismus zu den Massenmedien siehe Paula Diehl: „Populismus und Massen- medien“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 5–6, 2012, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2012, S. 16–22.
  8. 8  CasMudde:„ThePopulistZeitgeist”,in:Government&Opposition,39,CambridgeUniversity Press, Cambridge 2004, S. 541–563.
  9. 9  Hans-GerdJaschke:„Rechtsextremismus“,in:DossierRechtsextremismus,Bundeszentralefür politische Bildung, Bonn 2006. 


    http://www.kas.de/wf/doc/kas_46033-544-1-30.pdf?160819122422

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